Montag, 9. Juni 2014

Das Paradox - ein Stilmittel mit Humor

Der Begriff Paradoxon riecht nach Zahncreme, ist aber keine. Soviel steht fest. Dennoch würde ich danach, wäre ich ahnungslos, zuallererst in der Zahnheilkunde forschen. Heißt so nicht diese lästige Zahnfleischentzündung? Oder die bittere Tinktur, mit der Zahnärzte den Patienten die Imbissstübchen auspinseln, nachdem sie ihr blutiges Gemetzel veranstaltet haben? Vielleicht sogar ein Desinfektionsmittel, um die Waffen zu sterilisieren, damit der Zahnarzt auch morgen wieder kraftvoll zustechen kann? Alles daneben! Wer darauf setzt, hätte die Quizmillion versemmelt.

Paradox: Nistkasten an der Vogelscheuche
Richtig ist die Antwort D: Paradox ist, was sich selbst widerspricht - wobei hinzugefügt werden muss: im gleichen Atemzug. Politiker, die ihr Geschwätz von gestern schon morgen ins Gegenteil verdrehen, fallen also nicht darunter. Sie sind nicht paradox. Dafür ist es zu spät. Solche Leute sind schlicht unglaubwürdig.

Der leicht angestaubte Ausdruck Paradoxon leistet als Angeberversion für passende Gelegenheiten weiterhin gute Dienste, dann aber bitte mit der Mehrzahl Paradoxa, sonst klappt sie nicht, die Wichtigtuerei. Unter uns genügt aber auch, standardsprachlich längst akzeptiert, das Paradox (Mehrzahl: Paradoxe).

Seit gut 2 Wochen geht mir das Thema durch den Kopf. Es ist schon sonderbar: Erst richte ich diesen Blog ein, eigens für Gedanken, die nach draußen wollen, und dann brauche ich so lange, um sie freizulassen. Ist das jetzt auch paradox? Ich werde mich hoffentlich noch bessern. Ist eben noch Neuland für mich, das Bloggen.

Am 23. Mai 2014, dem 65. Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wurde ein Paradox entlarvt, das mir bisher verborgen war. In Berlin, im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, begann der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani die Festrede mit dem Hinweis, die Verfassung verwende im Artikel 1, ungewöhnlich bei einer juristischen Norm, als Stilmittel ein Paradox: "Wäre die Würde des Menschen unantastbar, wie es im ersten Satz heißt, müsste der Staat sie nicht achten und schon gar nicht schützen, wie es der zweite Satz verlangt." Man muss, um das zu erkennen, bestimmt eine besonders dioptrienstarke Expertenbrille auf der Nase tragen. Aber für den nächsten Angeber-Smalltalk ist der Gedanke gut zu gebrauchen.

Die Rede brachte mich dazu, wieder einmal über Paradoxe als sprachliches Ausdrucksmittel nachzudenken. Sie bringen gebremste Texte neu in Schwung. Leser bleiben wach, wenn hin und wieder so ein fliegender Fisch aus der Buchstabensuppe hüpft - solange das eine Überraschung bleibt. Allzuviel ist ungesund. Auch alltägliche Unterhaltungen können natürlich durch Paradoxe aufgewertet werden, Heiratsanträge und andere Bewerbungsgespräche eventuell ausgenommen.

Um beispielsweise herauszufinden, ob übermäßiger Verzehr von Blattsalaten humorlos macht, braucht man in der Betriebskantine nur die fleischlosen Kollegen zu fragen, ob sie eingefleischte Vegetarier seien. Wer darüber nicht wenigstens schmunzelt, sollte sich anders ernähren.

Auf die eingefleischten Vegetarier, aus denen ich dann dieses Testverfahren entwickelt habe, bin ich in dem amüsanten "erstaunlichsten Deutsch-Buch aller Zeiten" von CUS, dem anonymen Wissensautor, gestoßen: Der Coup, die Kuh, das Q. Von den vielen weiteren Beispielen darin gefielen mir am besten die herrenlosen Damenfahrräder und die Definition, paradox sei, wenn ein Sopran bass erstaunt ist, dass ein Tenor alt geworden ist, ein Ausspruch, der laut CUS auf den Komponisten Hans Pfitzner zurückgehen soll.

Passend zur aktuell ins Haus stehenden Fußball-WM entdeckte ich kürzlich in einem Geschenkeladen einen rechteckigen Rettungsring, fußballrasengrün, mit aufgemalter Spielfeldbegrenzung und Strafstoßpunkten, der aufgeblasen genau die passende Größe hat, um darin einen komplett gefüllten Bierkasten im Baggersee zu kühlen. Eine praktische Erfindung. Sie auf dem Preisschild darüber als Schwimmhilfe für Bierkästen anzubieten, während auf ihr selbst groß der Aufdruck "keine Schwimmhilfe" prangt, ist allerdings paradox.

Ganz frisch begegnet bin ich einem Vogelscheucher (was ich als männliche Form für den Duden vorschlage), dem ein Nistkasten ans Gerippe genagelt ist. Wie passt denn das zusammen? Paradox! Oder doch nur eine nachlässige Berufsauffassung des Wachmanns im Gemüsebeet?

© Text und Foto: Joachim Hübner 2014 – Alle Rechte vorbehalten.

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