Freitag, 9. Mai 2014

Schon vergessen? (Folge 1): Das Stopfei − Adenauer und das Loch in der Socke

Strümpfe fristen ein trauriges Dasein. Sogar ein Gedenktag ist ihnen dafür gewidmet. Heute, am 9. Mai, erinnert der Tag der verlorenen Socke an in der Waschmaschine verschollene Einzelteile. Krokodilstränen sind das, denn ein geschulter Fachmechaniker ist durchaus in der Lage, die Opfer zu befreien, mit einer Zange und etwas Geschick, an der Einfüllöffnung aus dem Spalt unter der Waschtrommel heraus. Socken machen schlimmeres durch, als nur vorübergehend in der beheizbaren Wanne eines Haushaltsgeräts auf Rettung zu warten.

Schon sich - in Sandalen getragen - als modischen Fehltritt begaffen und verspotten lassen zu müssen, schreit nach Erbarmen. Und wer denkt an die von skrupellosen Sportsfreunden eiskalt verstoßenen Fußwärmer? Hausmeister sollten mit einer Meldepflicht belegt werden, wie viele herrenlose Socken sie aus den Umkleideräumen von Schulturnhallen befreien mussten. Auch sonst sind die Arbeitsbedingungen von Strümpfen, Socken und Füßlingen unerfreulich: ständig getreten, eingezwängt zwischen menschlichen Schweißdrüsen und dem Innenfutter der Schuhe, von raspelnder Hornhaut zerrieben und durchstoßen von scharfkantigen Zehennägeln.

Zu allem Überfluss auch noch die brutale Gewissheit, schon beim kleinsten Defekt auf die Mülldeponie verabschiedet zu werden. Frühere Strumpfgenerationen waren besser dran. Liebevoll wurden sie gepflegt und notfalls chirurgisch versorgt, wenn ein Loch in ihnen klaffte. Abends, wenn der Schwarz-Weiß-Fernseher im Wohnzimmer flimmerte, setzten sich unsere Mütter abseits auf die Sofakante, um sich im fahlen Schein der Stehlampe beim Sockenflicken die Augen zu verderben. Dabei kam, außer Nähnadel und Wollfaden, ein damals alltägliches Hilfsmittel zum Einsatz: das Stopfei oder der Stopfpilz. Schon vergessen?

Ein ovaler ("Ei") oder halbrunder Gegenstand mit einem Stiel zum Festhalten ("Pilz") wurde in die Socke geführt, worüber dann das schadhafte Gewebe gespannt wurde. Auf dieser festen Unterlage aus Holz oder Keramik ließ sich der Faden sicher führen und das Reparaturgeflecht besonders gleichmäßig erstellen. Die simple Arbeitshilfe fehlte in keinem Nähkästchen. Aus schlechten Kriegstagen, in denen das gedankenlose Wegwerfen durchlöcherter Strümpfe nicht in Frage kam, hatte sie sich in die westdeutschen Wirtschaftswunderjahre gleichermaßen hinüber gerettet wie in die Mangelzeiten der damaligen DDR. Seit wir industrielle Massenware an den Füßen tragen, haben Stopfei und Stopfpilz ausgedient.

Was der in der Überschrift erwähnte erste Nachkriegskanzler Konrad Adenauer damit zu tun hat, wollen Sie wissen? Wird selbstverständlich aufgeklärt: Dr. Konrad Adenauer (1876-1967) war vor dem 2. Weltkrieg zunächst Oberbürgermeister von Köln, bevor er 1933 von den neuen Machthabern seines Amtes enthoben wurde. Danach betätigte er, der schon während des 1. Weltkrieges Patente angemeldet hatte, sich wieder als Tüftler und Erfinder, finanziell zwar erfolglos, aber dennoch äußerst phantasievoll. Unter anderem entwickelte er ein mit Batteriestrom gespeistes Stopfei, das den Strumpf beim Flicken von innen durchleuchtete. Das von ihm dafür beantragte Patent wurde ihm allerdings verweigert, weil andere schon vorher auf die Idee gekommen waren.

Im Gegensatz zu denen wurde Adenauer aber 1949 zum Bundeskanzler gewählt. Politiker sind eben kein Daniel Düsentrieb. Ihnen fehlt das Talent, die Löcher im Sparstrumpf zu stopfen.

© Text: Joachim Hübner 2014 – Alle Rechte vorbehalten.

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